Zum Internationalen Tag der Frauengesundheit am 28. Mai warnen Andrea Schrag, Gelichstellungsbeauftragte des Landkreises Harburg, sowie Dr. Klaus Hertting, Chefarzt für Kardiologie und Angiologie am Krankenhaus Buchholz, vor einem immer noch unterschätzten Risiko: dem Herzinfarkt bei Frauen. Obwohl viele den Herzinfarkt noch als "Männerkrankheit" sehen, zählt er auch bei Frauen zu den häufigsten Todesursachen. Laut Deutschem Herzbericht 2024 starben im Jahr 2022 18.858 Frauen an den Folgen eines Herzinfarkts. Männer erleiden zwar insgesamt häufiger einen Infarkt, doch Frauen überleben ihn seltener – die Sterblichkeitsrate pro Infarkt ist bei Frauen deutlich höher.
Warum Herzinfarkte bei Frauen seltener erkannt werden
Ein Grund liegt in den oft anders verlaufenden Symptomen: Statt der typischen, starken Brustschmerzen treten bei Frauen häufiger unspezifische Beschwerden auf wie Übelkeit, Erbrechen, Rückenschmerzen, Nacken- oder Kieferschmerzen, Kurzatmigkeit, extreme Müdigkeit oder Schwindel. Diese unklaren Anzeichen werden oft übersehen oder falsch gedeutet, was die Alarmierung des Notarztes verzögert – mit potenziell lebensbedrohlichen Folgen.
Dass Infarkte bei Frauen oft nicht erkannt werden, liegt auch daran, dass lange Zeit die medizinische Forschung und Praxis überwiegend auf Daten von Männern basierte. Daher wurden Unterschiede bei Frauen nicht ausreichend berücksichtigt. Geändert hat sich das in Deutschland seit den 2000er Jahren, u.a. mit der Gründung des Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) an der Berliner Charité. Seither wird zunehmend anerkannt, dass Frauen zum Beispiel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen andere Symptome zeigen und medizinisch anders eingeordnet werden müssen als Männer. Obwohl das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer geschlechtersensiblen Medizin wächst, ist die systematische Einbeziehung weiblicher Besonderheiten in Forschung, Ausbildung und Versorgung ein Prozess, der weiterhin vorangetrieben werden muss.
„Damit lebensbedrohliche Warnzeichen nicht mehr übersehen oder falsch gedeutet werden, braucht es mehr Aufklärung – und eine Medizin, die Frauen von Anfang an mitdenkt. Forschung, Ausbildung und Versorgung sind dabei gemeinsam gefragt“, sagt Gleichstellungsbeauftragte Schrag.
Frauen zögern, den Notarzt zu rufen
Auch die Medizin sieht weiterhin Aufklärungsbedarf. „Medizinisches Personal muss die oft anders gelagerten Symptome eines Herzinfarkts bei Frauen kennen“, erklärt Chefarzt Dr. Hertting. Die Mitarbeitenden der Ärzteschaft in den Krankenhäusern sind für die spezifische Symptomatik bei Frauen sensibilisiert. Auch in der Rettungskette im Landkreis sei das Thema präsent. Zweimal im Jahr finden Austauschtreffen zwischen Ärzten der Kardiologie, Anästhesie und Notaufnahme des Krankenhauses und den Rettungsdiensten statt, in denen auch die Herzinfarktversorgung und die frauenspezifische Symptomatik besprochen wird. „Die Rettungsdienste sind die ersten bei der Patientin, sie nehmen auch die Ersteinschätzung vor und kündigen uns in der Notaufnahme einen Infarkt-Verdacht an. Damit wir jedoch schnell helfen und schlimmeres verhindern können, ist es auch wichtig, dass Frauen oder ihre Angehörigen zügig den Notruf wählen“ erklärt Dr. Hertting. Denn Frauen sind bei Herzinfarkt-Symptomen oft zu zögerlich. Sie rufen zwar rasch den Notarzt, wenn bei ihrem Partner ein Verdacht auf Herzinfarkt besteht. Bei eigenen Herzproblemen tun sie das aber viel später. Manchmal kann das zu spät sein. „Deshalb sollten Frauen bei diesen Symptomen nicht zögern, die 112 zu rufen“, rät Dr. Hertting. „Bei einem Infarkt zählt jede Minute, um Schäden zu verhindern und Leben zu retten.“
Neben der zunehmenden Sensibilisierung in Forschung und Praxis gab es in den vergangenen Jahren auch politisch erste Schritte: „Die Ampelkoalition hatte sich 2021 im Koalitionsvertrag ausdrücklich vorgenommen, geschlechtsspezifische Unterschiede in Versorgung, Prävention und Forschung stärker zu berücksichtigen – etwa durch die Integration geschlechtersensibler Medizin in die Ausbildung von Gesundheitsberufen. Der aktuelle Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2025 bleibt in dieser Hinsicht vage“, stellt die Gleichstellungsbeauftragte Schrag fest. „Das zeigt: Der Weg zu einer Medizin, die Frauen systematisch mitdenkt, ist noch nicht abgeschlossen.“